Kategorie: Jugend

Rückblick auf den Bundeskongress 2016

Am vergangenen Wochenende, 8.-10. April 2016, fand der diesjährige Bundeskongress der Linksjugend ['solid] in Nürnberg statt. Der Charakter des Bundesverbands bleibt im Wesentlichen unverändert - ein massives Problem angesichts der gesellschaftlichen Polarisierung.


Jedes Jahr werden 250 Delegiertenmandate auf die 16 Landesverbände nach einem Delegiertenschlüssel verteilt. Während im April 2015 noch etwa 220 gewählte Delegierte ihr Mandat beim Erfurter Bundeskongress in Anspruch nahmen, so taten es beim diesjährigen Nürnberger Bundeskongress lediglich etwa 190 Delegierte. Damit blieben über 25 % aller möglichen Delegiertenmandate ungenutzt. Gerade in Zeiten von sozialer, wirtschaftlicher und politischer Zuspitzung ist dies ein Problem, denn die mangelhafte Partizipation der Delegierten ist nur ein Ausdruck der zunehmenden Passivität der Linksjugend ['solid] auf Bundesebene. Viele Beschlüsse des höchsten Gremiums verschwinden oftmals in der Schublade – wodurch die Frage nach dem Sinn und Zweck von Bundeskongressen provoziert werden kann.

Weder der sozialdemokratische Flügel mit Unterstützung des BAK Shalom, noch die sozialistischen und marxistischen Teile um den BAK Revolutionäre Linke konnten den Bundeskongress für sich entscheiden. Tatsächlich ist die Beschlusslage auch im Jahr 2016 erneut widersprüchlich. Der Antrag "Gute Arbeit und Soziales für Alle! Rassistische Hetze stoppen!" des BAK Revolutionäre Linke, welcher sich zunächst auf radikalen Reformismus durch starke Progressivsteuer beschränkte - jedoch durch Einwände der marxistischen Tendenz schließlich doch die Eigentumsfrage stellte - konnte mit seiner Ablehnung von Bündnissen mit SPD und GRÜNEN erfreulicher Weise eine Mehrheit finden. Allerdings wurde direkt im Anschluss der Antrag "Wehret den Anfängen – Der AfD überall den Platz streitig machen" von Marx21 und des Bundesvorstands des SDS, welcher eindeutig Bündnisse mit SPD und GRÜNEN befürwortet, ebenfalls mehrheitlich angenommen.

Dies verdeutlicht die politische Verwirrung und Unklarheit von Linksjugend ['solid] auf der Bundesebene. Dies hat neben den unzähligen politischen Strömungen innerhalb des Jugendverbands – Linksliberale, Sozialdemokraten, Antideutsche, Marxisten, Anarchisten, Stalinisten, Maoisten und sogar Hoxhaisten – vor allem strukturelle Gründe. Die Bundeskongresse bieten schlichtweg keinen angemessenen zeitlichen Rahmen für ausführliche Debatten zu wichtigen Themen. In der Regel mussten alle Positionsanträge innerhalb einer dreiminütigen Rede vorgestellt werden, worauf lediglich eine jeweils einminütige Für- und Gegenrede vor der Antragsabstimmung folgte. Auf diese Weise können ausführliche und tiefer gehende Anträge weder angemessen erklärt noch verteidigt werden. Dabei könnten gerade kontroverse Debatten für alle sehr lehrreich sein.

Dies war insbesondere bei unserem Antrag "Die Flüchtlingsbewegung als industrielle Reservearmee des Kapitals" [1] der Fall. Diese ausführliche marxistische Resolution widerlegt aufgrund realer Tatsachen die Behauptung, dass Flüchtlinge eine Gefahr für den Lebensstandard in Deutschland darstellten – was die politische Rechte allerdings unablässig behauptet. Diese Resolution wurde vom Landesverband Niedersachsen auf einer Landesmitgliederversammlung in Hannover im Januar 2016 mit 100 % Zustimmung und ohne Enthaltungen angenommen. 95 % der Delegierten des Bundesverbands lehnten diese Resolution hingegen ab, nachdem uns ein Mitglied des antideutschen BAK Shalom paradoxer Weise eine Reduzierung der Flüchtlinge auf ihre ökonomische Nützlichkeit vorwarf, obwohl gerade diese Herangehensweise in der Resolution eindeutig verurteilt wird. Selbst Mitglieder des BAK Revolutionäre Linke enthielten sich bei der Resolution, welche selbst von Reformisten in Niedersachsen mitgetragen wurde. Der Bundesverband hat hiermit eindeutig die Chance verpasst, rechter Hetze die argumentative Grundlage zu entziehen.

Unser Antrag
"Die Sackgasse des Reformismus" [2] wurde noch deutlicher abgelehnt. Einige Mitglieder des BAK Revolutionäre Linke rechtfertigten dies mit der absurden Begründung, der Antrag habe angeblich einen "sektiererischen" Charakter. Wenn allerdings die politische Ablehnung des Reformismus sektiererisch wäre, warum sollten Marxisten dann für einen Aufbau revolutionärer Organisationen kämpfen? Nach Marx, Engels, Lenin, Trotzki und Luxemburg ist sektiererisches Verhalten definiert durch die bewusste Abstinenz revolutionärer Kräfte von den Massenorganisationen der Arbeiterklasse. Gerade die Internationale Marxistische Tendenz lehnt ein solches Verhalten weltweit ab. Ein Redaktionsmitglied der halbjährlich erscheinenden critica-Zeitung des SDS polemisierte gegen unseren Antrag, man habe gesehen, "dass die Leninisten den Stift angesetzt" hätten. Der "Vorwurf" des Leninismus ehrt uns natürlich.

Der inhaltliche Höhepunkt des Bundeskongresses war der Antrag A13
„Solidarität mit SexarbeiterInnen“ des Landesverbands Bremen. Dieser definiert Prostitution als normale Lohnarbeit, fordert „bessere Arbeitsbedingungen“ und verteidigt die Interessen von Freiern. So kam es zu einem 20 minütigen Schlagabtausch mit dem rechten Flügel und Mitgliedern des Landesverbands Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der marxistischen Tendenz. Das Netzwerk Marx21 enthielt sich sowohl in der Debatte als auch in der Abstimmung des Antrags, welcher daher bei 65 Ja-, 63 Neinstimmen und 15 Enthaltungen hauchdünn angenommen wurde. Man könnte meinen, das Thema Prostitution würde die neue Nahost-Debatte im Jugendverband werden. Der Landesverband Niedersachsen hatte sich auf Antrag unserer Tendenz bereits im Januar 2016 gegen Prostitution und für einen gemeinsamen Kampf für die Interessen der Prostituierten ausgesprochen.

Angesichts des äußerst knappen Abstimmergebnisses und der viel zu kurzen Debatte einigten sich die Delegierten auf die Annahme eines Initiativantrags, welcher Linksjugend ['solid] zur bundesweiten Organisierung von Veranstaltungen, Workshops und Bildungswochenenden zum Thema Prostitution verpflichtet. Es gilt auf die Umsetzung dieses Beschlusses mit Nachdruck zu bestehen. Unsere Tendenz hatte sich bereits vor Gründung der Linksjugend ['solid] mit dem Thema Prostitution in zahlreichen Artikeln und einigen Broschüren geäußert.
89 % der Prostituierten wollen einen Ausstieg aus der Branche, 75 % ein sicheres Zuhause, 61% medizinische Versorgung und 56 % psychologische Betreuung. Prostitution ist keine normale Lohnarbeit, sondern die elementarste Form gesellschaftlicher Unterdrückung. Hier wird der Mensch zum Gebrauchsgegenstand degradiert. Er wird Ware.

Zwischen den Basis- und Landesstrukturen besteht ein dialektischer Widerspruch gegenüber der Bundesebene, welcher in der Partei DIE LINKE durch die größere Bürokratie lediglich noch stärker ausgeprägt ist. Langjährige Mitglieder der Linksjugend ['solid] wissen aus der Erfahrung heraus, dass die Basisgruppen des Jugendverbands ohnehin nur das tun, was sie individuell für richtig erachten – unabhängig davon, was der Bundesverband beschließen möge. Der stark ausgeprägte Pluralismus im Jugendverband möchte zwar die Zersplitterung der Linken überwinden, in der Realität führt er jedoch auch zu völlig unverbindlichen Strukturen. Linksjugend ['solid] ist de facto kein Jugendverband, sondern viele linke Jugendverbände unter einem Label. Es wird sich also zeigen müssen, ob Linksjugend ['solid] mit bundesweit 5.400 formalen Mitgliedern den Herausforderungen der nächsten Jahre gewachsen sein. Dies setzt die Einheit in der Aktion voraus.

[1] http://www.derfunke.de/index.php/rubriken/jugend/1901-der-oekonomische-charakter-der-aktuellen-fluechtlingsbewegung
[2]http://www.derfunke.de/index.php/rubriken/jugend/1941-die-sackgasse-des-reformismus-und-die-schlussfolgerungen 

*Kristof Sebastian Roloff, Delegierter aus Niedersachsen

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