Kategorie: Deutschland

Burgfrieden und Imagegewinn für die Hohenzollern

Begleitet von Protesten erlebte das am Mittelrhein gelegene Städtchen St. Goar am Wochenende einen historischen Schulterschluss und Schmusekurs zwischen dem Haus Hohenzollern und der rheinland-pfälzischen Sozialdemokratie. Wir protestierten mit und zeigten dem Prinzenpaar die rote Karte.

Bild: derfunke


Mit der Feierstunde am 19. September 2020 wurde ein jahrelanges juristisches Tauziehen zwischen der Mainzer Landesregierung und der Stadt St. Goar auf der einen Seite und dem Hohenzollernclan auf der anderen Seite um Besitzansprüche der Nachkommen des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. auf die über dem Stadtkern gelegene markante Burgruine Rheinfels beendet. Ein Hauch von Geschichte wehte über dem Mittelrhein, als namhafte SPD-Politiker den Schulterschluss und die Aussöhung mit dem Prinzenpaar vollzogen und dabei nicht nur die Corona-Abstandsbestimmungen vergaßen.

Hintergrund: Die Hohenzollern, allen voran der Kaiser-Ururenkel Prinz Georg Friedrich von Preußen, sind in den letzten Jahren in die Offensive gegangen und haben in geheimen Verhandlungen mit dem deutschen Staat Entschädigungen in Millionenhöhe, Kunstwerke sowie unentgeltliches Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof gefordert. Gegen Historiker, Journalisten und Politiker, die daran Kritik äußerten, haben Anwälte im Auftrag von Georg Friedrich eine große Zahl von Rechtsstreitigkeiten angezettelt und Mahnschreiben verfasst. Diese handfesten Drohungen sollten und sollen offenbar einschüchtern. Davon betroffen war auch die Funke-Redaktion. Unser Artikel „Hohenzollern und Co. enteignen!“ missfiel dem Prinzen und seinem Anwalt. Wir machten die Sache in einem Aufruf publik und starteten einen Spendenappell für die uns entstandenen Unkosten des Rechtsstreits.

Im Fall der Burg Rheinfels in St. Goar, die nach der Novemberrevolution 1918 und dem Ende der Monarchie an das Land Preußen fiel, hatte die Hohenzollernfamilie versucht, die Rückgabe per Gerichtsbeschluss zu erzwingen. Damit konnte sie sich jedoch im Sommer 2019 vor dem Koblenzer Landgericht nicht durchsetzen. Ihre Chancen auf Erfolg in der zweiten Instanz galten als relativ gering.

Doch der für April 2020 angesetzte Gerichtstermin kam nicht mehr zustande. Und dies nicht nur wegen Corona. Denn inzwischen hatte der neu gewählte SPD-Bürgermeister von St. Goar, Falko Hönisch, einen Deal mit dem Prinzen eingefädelt. Im Gegenzug für den scheinbar „großzügigen“ Verzicht der Hohenzollern auf Besitzansprüche an der Burg kommt ihnen nun die Stadt St. Goar ohne Not sehr weit entgegen. So erhebt die Kommune ab Januar 2021 auf alle Eintrittskarten für die Burg Rheinfels einen Aufschlag von einem Euro bzw. 50 Cent für ermäßigte Tickets. Der erhobene Aufschlag fließt vierteljährlich in voller Höhe auf das Konto der Kira von Preußen-Stiftung mit Sitz in Potsdam. Dieser Stiftung steht alleinvertretungsberechtigt Sophie Prinzessin von Preußen vor, die Gattin des Familienoberhaupts Georg Friedrich. Die überwiesenen Einnahmen sollen laut Vereinbarung „vollständig für Zwecke der Kinder- und Jugendarbeit in St. Goar oder für Kinder und Jugendliche aus St. Goar sowie für die Förderung von Kunst und Kultur in St. Goar“ verwendet werden. Der Vertrag endet spätestens mit Ablauf des Jahres 2097.

Damit ist es den Hohenzollern gelungen, im Vorfeld der für 2029 im Mittelrheintal geplanten Bundesgartenschau ihr vermeintlich „soziales Image“ aufzupolieren. Nachdem ihre unverschämten Forderungen in der Öffentlichkeit für viel Verärgerung, Unmut und Kritik gesorgt hatten, stehen sie nun plötzlich völllig unverdient als „Wohltäter“ an der Menschheit da. Dabei bedeutet der Vertrag mit der Stadt St. Goar ein starkes Stück Privatisierung von Jugendarbeit und Kulturförderung, die eigentlich wichtige kommunale Aufgaben sind und nicht in private Hände gehören. Das Land Rheinland-Pfalz sollte seine Kommunen hierfür mit ausreichend Finanzmitteln aussstatten, damit sie nicht in die Verlegenheit kommen, bei privaten Stiftungen zu betteln. Doch nun bekommt die Hohenzollern-Stiftung ohne Not Einfluss auf die Jugendarbeit und Kulturförderung und dürfte sich die Chance nicht entgehen lassen, dies PR-mäßig an die große Glocke zu hängen.

Die LINKE im Rhein-Hunsrück-Kreis hatte schon im Februar ein Bürgerbegehren für einen Bürgerentscheid gegen den Deal der Stadt mit der Kira-von-Preußen-Stiftung angestoßen und dafür eifrig Unterschriften gesammelt. Doch alles wurde dann ab März durch die Corona-Pandemie jäh ausgebremst. Die Stadtverwaltung habe dann den Lockdown genutzt, um sich mit der Vertragsunterzeichnung über das Begehren hinwegzusetzen und seinen Trägern keine Chance zu geben, kritisiert LINKE-Kreisvorsitzender Roger Mallmenn. Das Begehren wurde auch von der örtlichen CDU unterstützt, die im Sommer 2019 ihre Mehrheit im Rathaus verloren hatte.

So war es vor allem sozialdemokratische Prominenz, die am Wochenende zur Feierstunde in St. Goar kam und sich mit dem Prinzenpaar ablichten ließ – allen voran der frühere SPD-Vorsitzende, rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping und die rheinland-pfälzische Innenstaatssekretärin Nicole Steingaß. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten genoss sichtlich ausgiebige Smalltalks und Selfies mit Prinz und Prinzessin und feierte auf seiner Facebook-Seite den Deal als „vernünftigen Kompromiss zur strittigen Eigentumsfrage“ und „gute Lösung für alle Beteiligten“. Warum 102 Jahre nach der Abschaffung der Monarchie in der Novemberrevolution 1918 die öffentliche Hand dem Hohenzollernclan überhaupt nur einen Millimeter entgegenkommen soll, ist für die SPD-Bürokratie offenbar keine Thema mehr.

„Die Opfer der Hohenzollern entschädigen!“

Zum Protest gegen die Feierstunde und den Deal hatte die LINKE im Rhein-Hunsrück-Kreis aufgerufen. Ihr großes Banner mit der Aufschrift „Keine Geschenke den Hohenzollern“ war gut sichtbar. Ihr Flugblatt brachte die Kritik auf den Punkt:

„Das Landgericht Koblenz hat festgestellt, dass die Hohenzollern keinen Anspruch auf die Burg Rheinfels haben und die Erfolgsaussichten bei Klagefortführung gering seien. Das nahm die SPD zum Anlass, den Prinzen mit einem Vergleich zu beschenken. Bis 2097 werden Millionen Euro aus dem Stadthaushalt an die familieneigene Stiftung der Hohenzollern fließen. Ein laufendes Bürgerbegehren gegen den Beschluss wurde von der SPD und Bürgermeister Hönisch ignoriert und der Corona-Lockdown zur Vertragsunterzeichnung genutzt.

Es geht dem Unternehmerprinzen nicht um die Kinder in St.Goar. Die Hohenzollern wollen sich auf Kosten der Stadt als soziale Wohltäter darstellen und den St. Goarer Vergleich als Einigungsbeispiel für weitere Hohenzollernklagen nutzen.

Gegenüber der öffentlichen Hand fordert die Preußenfamilie Kulturschätze, ein Wohnrecht im Schloss Cecilienhof, Gemälde und Kunstwerke aus Museen,die sich in öffentlicher Hand befinden oder spekuliert auf staatliche Entschädigung in Millionenhöhe. Widerspruch hört der Prinz ungerne, insgesamt führen die Hohenzollern derzeit 120 Verfahren gegen kritische Historiker, Wissenschaftler und Journalisten.(Quelle: WELT)

Wir wollen nicht zulassen, dass sich die Hohenzollern als Wohltäter aufspielen. Denn von den Untaten der deutschen Kolonialzeit und den Verbrechen an den Herero und Nama im heutigen Namibia über die Verantwortung für zwei Weltkriege bis hin zur Unterstützung der Nazis haben Mitglieder der Hohenzollernfamilie Schuld auf sich geladen: Nicht die Hohenzollern, sondern ihre Opfer haben begründbare Entschädigungsansprüche“, so der Flyer des LINKE-Kreisverbands im Wortlaut. Der Prinz von Preußen lässt darauf hinweisen, dass ein Wohnrecht im Schloss Cecilienhof kein Gegenstand mehr der Themen sei, die einer Verhandlung unterliegen.

Als „gebrannte Kinder“ in Sachen Rechtsstreit mit den Hohenzollern schlossen sich Mitglieder der Funke-Redaktion dem Protest in St. Goar an. Unser Plakat mit der Aufschrift „Freier Eintritt! Kultur für Alle! Hohenzollern und Co. enteignen! Novemberrevolution vollenden“ fand viel Aufmerksamkeit. Damit erinnerten wir daran, dass die damaligen SPD-Führer und Vorgänger von Rudolf Scharping, nämlich Ebert, Noske, Scheidemann und andere, 1918 die Novemberrevolution mit allen Mitteln ausbremsten und die notwendige und übefällige Enteignung der entmachteten Fürstenhäuser verhinderten.

Novemberrevolution endlich vollenden!

So wurden die Vermögen der deutschen Fürsten, Könige und Herzöge nur beschlagnahmt und nicht enteignet. Nach dem Abflauen der Revolution stand Mitte der 1920er Jahre die Rückgabe an die Adelsfamilien wieder auf der Agenda von Politik und Justiz. Der entmachtete Adel überzog die Gerichte mit unverschämten Entschädigungsforderungen. Dies empörte die Arbeiterklasse. Die Kommunistische Partei (KPD) fand mit dem Ruf nach entschädigungsloser Enteignung auch unter SPD-Mitgliedern ein derart starkes Echo, dass die Spitzen der SPD und des Gewerkschaftsbunds ADGB ein „Volksbegehren für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten“ unterstützten. Die Massenkampagne für den Volksentscheid mobilisierte die Arbeiterbewegung, Intellektuelle wie Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Kurt Tucholsky sowie den Jugendverband der liberalen DDP.

Zu den strikten Gegnern des Volksentscheids zählten bürgerliche und konservative Parteien, Kirchen und Unternehmerverbände. Sie riefen zum Boykott auf und spekulierten darauf, dass das vom Reichstag vorgegebene Quorum nicht erreicht würde, wonach die Abstimmung nur gültig wäre, wenn eine absolute Mehrheit des Wahlvolks daran teilnähme, also etwa 20 Millionen.
Diese Rechnung ging auf. In Dörfern schüchterten Großgrundbesitzer Landarbeiter ein und beobachteten, wer ins Wahllokal kam. Am Urnengang nahmen 15,6 Millionen Menschen teil. 14,5 Millionen stimmten für die Enteignung. Ein Achtungserfolg für die Arbeiterparteien, die in jenen Jahren in der Summe sonst nie so viele Wählerstimmen erreichten. Für Scharping sind solche Erfahrungen und Meilensteine der Geschichte offenbar ein Buch mit sieben Siegeln oder lästiger Ballast.

„Es gibt über 14 Millionen Schweinehunde in Deutschland“, kommentierte Ex-Kaiser Wilhelm II vom niederländischen Exil aus das Ergebnis. In der Tradition dieser Menschenverachtung steht heute sein Ururenkel, der die Wohnungsfrage seiner Familie durch dauerhaftes Wohnrecht in einem noblen Postdamer Schloss auf Kosten der von der Arbeiterklasse entrichteten Steuergelder lösen will und mit Blutsrecht begründet.

Unser Plakat wurde vor der Kulisse des historischen Rathauses von St. Goar und direkt über dem Kopf des Prinzen vielfach fotografiert. Anstatt auf Einhaltung von Corona-Abstandsvorgaben beim Festpublikum und dem „Bad in der Menge“ des Prinzenpaars zu achten, eskortierte die Staatsgewalt unseren Plakatträger vom Platz, nachdem eine dem Prinzen nahestehende Person dies veranlasst hatte. Ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift „Nazikollaborateure Hohenzollern“ wurde von der Staatsgewalt als „Anfangsverdacht einer Beleidigung“ interpretiert und durfte per Anordnung nicht hochgehalten werden.

Wir bleiben dabei: Kinder- und Kulturförderung sind eine öffentliche Aufgabe! Kultur darf kein Privileg einer Elite sein! Freier Eintritt in Burgen und Museen! Hohenzollern und Co. enteignen! Novemberrevolution endlich vollenden!

Siehe auch:

Jetzt erst recht: Hohenzollern und Co. enteignen!

Eier aus Kruppstahl: Böhmermann stellt Hohenzollernprinz bloß.

Dringender Solidaritätsaufruf: Keine Einschüchterung durch Hohenzollern und Co.!

Hohenzollern und Co. enteignen!

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