Kategorie: Kapital und Arbeit

Profit ist wichtiger als Gesundheit am Arbeitsplatz – auch in Papenburg

Während die italienische Regierung die Produktion für nicht-lebenswichtige Güter einstellen lässt, geht in Deutschland die Produktion unverändert weiter.


Eine Ausnahme sind die Autofabriken, deren Schließung allerdings nicht allein als Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus angedacht sind. Wie wir wiederholt festgestellt haben, befindet sich die Weltwirtschaft nach einer langen Phase der Erholung auf dem Wege in eine globale Rezession. Besonders die Automobilindustrie ist seit 2018 massiv eingebrochen. Wurden 2017 noch 73,4 Millionen PKW weltweit produziert, so waren es 2019 nur noch 67,0 Millionen. Besonders die Fertigung in China (2017: 24,8 Mio., 2019: 21,4 Mio.) und der BRD (2017: 5,6 Mio., 2019: 4,7 Mio.), aber auch die in Japan und den USA ist immens zurückgegangen. Die Autoindustrie stellt den wichtigsten Industriezweig in den genannten Ländern dar und ein Produktionsrückgang hat enorme Auswirkungen auf die gesamte Industrie dieser Länder.

Der VW-Konzern hat deshalb die Reißleine gezogen und die Produktion ab dem 13. März für zwei Wochen eingestellt. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Schutz der Mitarbeiter vor dem Corona-Virus, aber auch als Prävention gegen den sich abzeichnenden Einbruch der Nachfrage auf den Automobilmärkten.

Die Kapitalseite spricht von der „Corona-Krise“, wie 1973 von der „Ölkrise“, als ob die Ausbreitung des Virus verantwortlich für die weltweite Rezession sei. Diese Krise zeichnete sich aber bereits seit längerer Zeit ab. Vor knapp drei Wochen schrieben wir in einem Artikel über die Folgen der Corona-Pandemie für die globale Wirtschaft: „Die deutsche Wirtschaft ist nun in eine technische Rezession nach zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit schrumpfendem BIP eingetreten. Die Industrieproduktion ist im vergangenen Jahr um 7% gesunken und eine Erholung von diesem Rückgang scheint in diesem Jahr unwahrscheinlich. Die beiden wichtigsten Handelspartner Deutschlands sind China und Italien, insbesondere der Norden des Landes. Die deutsche Wirtschaft ist sehr abhängig vom Welthandel und daher anfällig für Störungen. Nun wird die deutsche Industrie mindestens zwei Monate lang mit einer Unterbrechung der Versorgung mit Teilen und Rohstoffen konfrontiert sein. Schwierigkeiten in der deutschen Wirtschaft bedeuten Probleme für die gesamte EU. Deutschland ist die Schlüsselwirtschaft in Europa und die Folgen werden weitreichend sein. (…) Die Weltwirtschaft stand bereits am Rande eines weiteren Abschwungs. Der Virus könnte sie zum Absturz bringen. In diesem Sinne könnte das Virus zu dem Zufälligen werden, ‚hinter dem die Notwendigkeit sich birgt‘, wie es einst Friedrich Engels formulierte.“

Bei VW in Emden, dem größten Betrieb in der Region Ostfriesland, werden also noch mindestens diese Woche die Bänder stillstehen.

Anders sieht es bei der Papenburger Meyer Werft aus. In der vergangenen Woche verließ das Kreuzfahrtschiff „Iona“ die Werft und liegt jetzt in Bremerhaven, wo der Innenausbau fertiggestellt werden muss. Normalerweise befinden sich in dieser Phase mehrere hundert Handwerker an Bord, die dafür Sorge tragen, dass ein Kreuzfahrtschiff pünktlich abgeliefert werden kann. Die Auflagen der Behörden gestatten es aber momentan nicht, diese Restarbeiten wie geplant durchzuführen.

Am Werftstandort Papenburg wird weiter produziert. Im Sommer 2020 soll die „Spirit of Adventure“ an die Reederei Saga Cruises pünktlich abgeliefert werden. Im Schiffbau ist die Einhaltung der vereinbarten Zeiten von existenzieller Bedeutung. Bereits 2018 wurde die „AIDAnova“ mit einmonatiger Verspätung abgeliefert – eine Verzögerung, die nicht nur eine hohe Konventionalstrafe zur Folge hatte, sondern auch den Zeitplan der Werft durcheinanderbrachte. Nur durch zusätzliche Mehrarbeit im Jahre 2019 gelang es den Beschäftigten, die verlorene Zeit wieder aufzuholen.

In der vergangenen Woche gab es im Bereich Produktion den ersten Corona-Fall. Die Werft schloss daraufhin das Besucherzentrum und zwei Kantinen. Anstatt die Werft komplett zu schließen, spielt die Werft-Führung nun mit der Angst der Beschäftigten. Der Kommunikationsbeauftragte erklärte in der Ostfriesen Zeitung am 19.03.: „Die Situation wird noch so dramatisch, dass wir froh sein können, wenn wir überhaupt wirtschaftlich heil durchkommen und überleben. Darum geht es, und da gibt es momentan keine Spielräume“. Das bedeutet konkret: Die Gesundheit der Arbeiterinnen und Arbeiter ist zweitrangig, wichtig ist, dass wir das nächste Schiff pünktlich abliefern können und unsere Profite machen.

Um also die angestrebten Ziele auch in dieser Krisensituation zu realisieren und den Schein des Gesundheitsschutzes zu wahren, wurden folgende Maßnahmen ergriffen: Die Werft wird in sieben Zonen unterteilt, die Arbeiter arbeiten täglich – auch sonnabends – sechs Stunden. Zusätzlich werden alle Aufenthaltsräume geschlossen. Der Betriebsrat lehnt die Sechs-Stunden-Regelung ab, weil die Stunde Minderarbeit vom Arbeitszeitkonto der Beschäftigten abgezogen wird. Er würde eine Regelung vorziehen, in der man die Stunde teilt und beide Seiten die Hälfte übernehmen. Auch die Arbeitspflicht am Sonnabend wird abgelehnt. Dazu der Betriebsratsvorsitzende Nico Bloem: „Es geht jetzt darum, dass die Menschen gesund bleiben. Andere große Industriebetriebe haben inzwischen dichtgemacht und Kurzarbeit angemeldet, hier sind zurzeit mehr als 10.000 Leute täglich auf der Werft, und bei uns sollen die Leute sogar an Wochenenden arbeiten, statt einzeln zu Hause zu bleiben. Das passt nicht ganz.“ (OZ, 19.03.2020)

Zu den 10.000 auf der Werft Arbeitenden gehören auch viele Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa. Meyer befürchtet, dass viele dieser Arbeiter in ihre Herkunftsländer ausreisen wollen, um ihre Gesundheit hier nicht zu gefährden. Aus diesem Grund schlug die Werft den ausländischen Dienstleistern gegenüber einen barschen Ton an und erklärte dem Vernehmen nach in einem Schreiben sinngemäß: Sollten Dienstleister ihre Mitarbeiter dennoch in deren Heimatländer zurückbeordern, weise man vorsorglich darauf hin, dass dies nicht durch höhere Gewalt gedeckt sei und somit einen Vertragsbruch darstelle. Sollten Subunternehmer der Dienstleister von Ein- oder Ausreiseverboten betroffen sein, sei auch dies kein Fall höherer Gewalt. Die Partner müssten folglich zur Erfüllung des Vertrags für Ersatz sorgen, der keinen Beschränkungen unterliegt.

Dass die von den Bossen beschlossenen Maßnahmen nicht funktionieren, zeigte sich bereits kurz nach deren Einführung, denn vor den Einlassbereichen bildeten sich lange Schlangen, so dass der Mindestabstand von zwei Metern nicht eingehalten wurde. Dies bemängelten auch Familienangehörige der Werftmitarbeiter, die sich an die örtliche Presse wendeten. In einem gemeinsamen Brief wird beklagt, dass die Angestellten ins HomeOffice geschickt würden, während die Mitarbeiter in der Fertigung „dicht an dicht buckelten“, obwohl viele von ihnen gesundheitlich angeschlagen seien. Weiter heißt es: „Wir Familien sind besorgt. Jeder von uns hat Kinder oder seine Eltern zu Hause bei sich, und wenn dann der Mann krank mit dem Virus wäre, würde das eine Kettenreaktion geben.“ (OZ, 21.03.)

Die halbherzigen Schutzmaßnahmen auf der Meyer Werft werden keine weiteren Corona-Fälle verhindern, sondern wägen die Mitarbeiter in einer falschen Sicherheit. Der einzig wirksame Schutz wäre die vorübergehende Schließung der Werft und aller nicht-lebenswichtigen Betriebe in diesem Land. Diese Erkenntnis lässt sich aus den Erfahrungen in Italien ableiten.

Inzwischen hat der Initiativkreis von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern einen Aufruf verfasst, der genau das beinhaltet:

„Wir wollen uns nicht auf der Arbeit anstecken, oder in Bus und U-Bahn! Bei vielen ist das schon passiert.
Die Beschäftigten der Autoindustrie dürfen zu Hause bleiben, weil die Autos sich ohnehin nicht absetzen lassen, und die anderen??
Alle, deren Arbeit nicht unverzichtbar ist, sollen zu Hause bleiben können!!
Die Unternehmen bekommen Milliardenzuschüsse, und die Beschäftigten? China hat die Seuche nur in den Griff bekommen, weil sie in Wuhan alles stillgelegt haben, auch die Wirtschaft!
Die Aktienkurse und die Gewinne der Unternehmen sind uns jetzt egal, der Stop der Pandemie und unsere Gesundheit sind wichtiger. Sollen doch die Aktienbesitzer arbeiten kommen!
Die Gewerkschaften sollen verlangen, dass alle außerhalb der lebenswichtigen Bereiche Arbeitslosengeld bekommen. Und wer weiterarbeiten muss: nur mit Schutzmaske FFP3.
Die, die genesen sind und immun, sollen dann im Gesundheitsbereich mithelfen! Bleibt zuhause!"

 

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