Kategorie: Theorie

Zur Spaltung des CWI – Wer nicht aus seiner eigenen Geschichte lernt …

Dass wir uns in unseren Publikationen mit Politik und Problemen kleiner, sich revolutionär gebärdender Organisationen befassen, ist nicht die Regel. Wir machen in diesem Fall eine Ausnahme, weil a) unsere eigene Geschichte und Tradition berührt wird, und b) es sich hier um ein Lehrstück der besonderen Art handelt.


In den vergangen Wochen hat sich das CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale) und inzwischen auch sein deutscher Ableger SAV in zwei Gruppen gespalten: SAV und Sol. Eine interessierte Szene konnte in sozialen Netzwerken verfolgen, wie sich die plötzlich verfeindeten Seiten, die vor kurzem noch ein Herz und eine Seele zu sein schienen, öffentlich bekriegen und schlimme Vorwürfe an den Kopf werfen. Beide Seiten und auch viele Kommentatoren stochern bei der Suche nach Gründen und tieferen Ursachen im Nebel herum.

Eine notwendige Spaltung“ lautet der Titel einer Erklärung der Mehrheit des bisherigen SAV-Bundesvorstands um den bisherigen Bundesvorsitzenden Sascha Stanicic. Darin erfährt die interessierte Leserschaft, dass sich am 25. Juli das CWI auf einer internationalen Konferenz „rekonstituiert“ habe. Als Reaktion habe sich international eine Gruppe in einer neuen Organisation mit dem Namen „World Socialist Alternative (WSA)“ zusammengeschlossen. Deren deutsche Anhänger wiederum bezeichnen den Bruch als eine „unnötige Spaltung“ und werfen der anderen Seite „undemokratische Methoden“ und einen „bürokratischen Putsch“ vor. Sie hatten offensichtlich bei einer Sonderkonferenz am 7. September eine Mehrheit hinter sich. Die dort unterlegene Gruppe um Stanicic, fortan “Sol” genannt, begründet hingegen die Spaltung mit dem Vorwurf, die andere Seite sei von „Opportunismus“ und „Beliebigkeit“ befallen, was sich vor allem auch in der Identitätspolitik niederschlage. Die Lage scheint auch mit dem Spaltungskongress vom 7. September noch nicht befriedet zu sein, denn beide Seiten beanspruchen jeweils für sich, die deutsche Sektion des CWI zu sein und das wahre CWI zu repräsentieren.

Wer in diesem Sommer die Debatten in sozialen Netzwerken verfolgte, konnte erahnen, wie vergiftet die Atmosphäre ist und wie heftig ehemalige Vertraute und Weggefährten jetzt aufeinander losgehen und eindreschen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich aus dem CWI ausgeschlossen würde, in dem ich mit 1975 erstmals engagierte. Ausgeschlossen von einer Minderheit von Usurpatoren. Wer in der Bewegung kann dir jemals wieder vertrauen? Schande über Euch, Sascha und Siri!“, erklärt die frühere SAV-Bundesvorsitzende Angela Bankert in einem Facebook-Post wütend und fassungslos an die Adresse ihres Nachfolgers Stanicic. „Aber hast Du dich bei der Spaltung in den frühen 1990er Jahren nicht genau so verhalten“, so die Frage eines aufmerksamen Facebook-Lesers an Angela Bankert. Zu ihrer Verteidigung sprang nun Claus Ludwig, führender Kopf der Anti-Stanicic-Gruppe, in die Bresche und erklärte: „Absolut nicht. Ted Grant blieb in der Minderheit. Er und seine Anhänger traten aus. Es gab harte Worte und ein etwas unfaires Verhalten. OK. Aber am Ende stahl niemand eine ganze Organisation. Die Mehrheit setzte sich durch.“

Opfer ihrer eigenen Methoden

Wer jene Zeit Anfang der 1990er Jahre erlebt hat, kann sich über die von Claus Ludwig betriebene Geschichtsklitterung nur wundern. Denn Claus Ludwig, Angela Bankert und andere, die sich nun als Opfer bürokratischer und antidemokratischer Methoden sehen, haben selbst genau diese Methoden vor knapp drei Jahrzehnten in einer innerorganisatorischen Säuberungswelle als Täter angewandt. Sie wussten damals, was sie taten, sind aber weit davon entfernt, sich dies einzugestehen. Weil sie und der andere Flügel gleichermaßen in dieser Tradition stehen, ist aus ihrer Sicht die aktuelle Spaltung „unnötig“.

Ted Grant, der nach Claus Ludwigs Behauptung Anfang der 1990er Jahre angeblich „in der Minderheit“ blieb und von sich aus ging, war der Pionier des britischen Trotzkismus und Autor zahlreicher Grundsatzpapiere, Bücher und Artikel. Sein Werk zur Verteidigung des Marxismus gegenüber allerlei Modeströmungen, die sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in der zerfallenden trotzkistischen Bewegung breit machten, war entscheidend. Damit legte er das Fundament für den Aufbau einer starken Strömung um die Wochenzeitung Militant, die in den 1980er Jahren als marxistischer Flügel in der britischen Labour Party, ihrer Jugendorganisation und in den Gewerkschaften verankert war, drei Parlamentsabgeordnete und viele Stadträte hatte und Massenkämpfe um Liverpool und gegen die Kopfsteuer (Poll Tax) führte.

Doch diese aufreibenden Kämpfe forderten ihren Preis und die aufstrebende Organisation wurde zunehmend zum Opfer ihrer eigenen Erfolge und des Prestigedenkens der Führung unter ihrem Generalsekretär Peter Taaffe. Dieser dünkte sich persönlich schon als der „britische Lenin“ und war zunehmend bemüht, ihm loyal gesonnene Personen in einflussreiche Positionen der Organisation zu hieven. Statt geduldiger politischer Überzeugungsarbeit und Theorieschulung gab es zunehmend Kommandomethoden. Immer mehr wurde versucht, politische Probleme mit organisatorischen Mitteln zu lösen. Kritische Geister, darunter viele erfahrene und gut geschulte Mitglieder, wurden zur Seite geschoben.

Taaffe und seine Vertrauten bauten auf junge Hauptamtliche, meistens Studierende ohne Abschluss und Arbeitslose, und deren persönliche Loyalität. Dieser Prozess erfasste nicht nur die britische Militant-Organisation, sondern das 1974 gegründete und schnell anwachsende CWI. Taaffes Vertraute machten ihren Einfluss auf andere Sektionen geltend und sorgten dafür, dass auch dort ihnen loyal gesonnene Personen an einflussreiche Positionen gelangten. Kritik an der britischen Sektion und ihrer Führung, so konstruktiv sie auch immer geäußert wurde, war nicht erwünscht. Unausgesprochen galt die Devise „Von den Briten lernen heißt siegen lernen“. Demokratische Kontrolle im CWI funktionierte immer weniger. Die zeitlichen Abstände zwischen den Weltkongressen wurden immer größer. Die demokratische Kontrolle der Führung immer geringer.

Ted Grant, Pionier des britischen Trotzkismus seit den 1930er Jahren, und Alan Woods, der seit 1960 maßgeblich am Aufbau der Organisation beteiligt war, platzte im April 1991 der Geduldsfaden. Sie beklagten in einer internen Sitzung die Existenz einer bürokratischen Clique im CWI um Taaffe und forderten die Rückkehr zu strikten demokratischen Traditionen. Damit fielen sie bei Taaffe und seinen Vertrauten in Ungnade, die nun alles daran setzten, sie und mit ihnen alle kritischen Geister zu verunglimpfen und baldmöglichst zu verdrängen.

Rob Sewell, der 1991 als nationaler Organisationssekretär in der Militant-Zentrale eine wichtige Funktion ausfüllte, beschrieb unlängst in seinem Artikel

The CWI split of 1991-1992: setting the record straight,

wie er und andere Hauptamtliche in der Militant-Zentrale einer vergifteten Atmosphäre ausgesetzt waren, wie sie ausgegrenzt, zermürbt, bedrängt, gemobbt und schießlich Ende 1991 fristlos gefeuert und vor die Tür gesetzt wurden, weil sie die Kritikpunkte von Ted Grant teilten. Er beschreibt, wie die finanziell von der Taaffe-Führung abhängigen Hauptamtlichen auf Loyalität zum Apparat festgenagelt wurden und die Dissidenten unter ihnen durch ausbleibende Lohnzahlungen unter Druck gesetzt wurden. Ted Grant wurde vom engeren Führungskreis verhört. Die Szenen könnten aus Orwellschen Romanen stammen. Kurzum: Der spannende, mit Zitaten und Dokumenten unterlegte ausführliche Bericht von Rob Sewell zeigt, wie die Apparatfraktion hinter den Kulissen eine Spaltung von oben organisierte und widerlegt die Geschichtsklitterung von Claus Ludwig.

„Taaffe konnte keine demokratische Debatte über die Kritikpunkte der Opposition dulden“, bringt es Rob Sewell auf den Punkt. In der Tat. Denn mit dem Ausbruch der Debatte im Frühjahr 1991 wurden alle demokratischen Traditionen über Bord geworfen. Eine faire Diskussion war nicht vorgesehen. Die für Mai anberaumte europäische CWI-Schule und die für Ende Juli geplante weltweite CWI-Sommerschule wurden kurzfristig abgeblasen, weil Taaffe und seine Vertrauten offensichtlich nicht wollten, dass Basismitglieder aus aller Welt direkt miteinander diskutieren und sich einmischen. Genau diesen Reflex hat Taaffe jetzt, 2019, wieder an den Tag gelegt, als er einen internationalen Kongress scheute und die Spaltung Hals über Kopf vollzog.

Statt in der Tradition der CWI-Anfangsjahre Kontroversen offen zu debattieren und einen internationalen Kongress entscheiden zu lassen, wurden damals loyale Hauptamtliche in die Sektionen geschickt, um diese „auf Linie“ zu bringen. Wo die Opposition nicht von Beginn an vertreten war, gab es nicht einmal den Hauch einer echten Debatte. Hier setzten Taaffe und seine Leute ungehindert auf Verdrehungen, persönliche Verunglimpfungen und Rufmord. Anders als heute gab es damals kein Internet, keine Suchmaschine, keine sozialen Netzwerke, über die es den Basismitgliedern möglich gewesen wäre, Informationen und Ideen austauschen oder sich überhaupt zu finden. So hatte der Apparat mit seinen Hauptamtlichen und Ressourcen riesige Vorteile in der Hand. Damit konnte es auch keinen Nachweis dafür geben, dass sich 1991/92 die von Taaffe angeführte Mehrheit demokratisch durchgesetzt hätte, wie von Claus Ludwig behauptet.

„Wir bedauern, dass sich Ted Grant abgespalten hat“, hieß es in Militant in einer bewussten Verdrehung der Tatsachen. „Du hast dich selbst außerhalb der Organisation platziert“, war das gängige Neusprech für bürokratische Ausschlüsse kritischer Geister, die von London ausgingen und binnen weniger Wochen das gesamte CWI erfassten.

Bürokratische Ausschlüsse und Säuberungen auch in Deutschland

So wurde auch der Verfasser dieser Zeilen, Mitbegründer des CWI im Jahre 1974 und bis 1991 verantwortlicher Redakteur der Zeitung „Voran“, rasch zum Opfer einer Säuberungswelle, als Taaffes Gesandte, allen voran Bob Labi, in der deutschen CWI-Sektion „aufräumten“ und sich dabei auf treue Erfüllungsgehilfen wie Angela Bankert und Claus Ludwig stützten. Weil ich mich im Leitungsgremium nicht klar von Ted Grant und Alan Woods distanzierte, wurde ich von Labi im Stil eines neostalinistischen Schauprozesses als „Feind“ bezeichnet.

HG ist nicht mehr loyal zu dieser Organisation. Mit Leuten wie ihm soll man nicht länger über Ideen diskutieren. Er versucht die Organisation ins Verderben zu stürzen. Die deutsche Mitgliedschaft muss dies verstehen. Wir müssen die nötigen Schlüsse ziehen, wie wir mit Feinden in unserer eigenen Organisation verfahren müssen“, so Labi wörtlich in einer Sitzung Anfang 1992.

Einen Monat später beschloss das Leitungsgremium dann den Ausschluss der Opposition. Wir, die auf der Anklagebank postierten Kritiker, hatten in dieser aufgeheizten Atmosphäre keine Chance. Als ich mich dann mit aufrechtem Haupt von einigen langjährigen Weggefährten verabschieden wollte, kam eine ungeduldige Angela Bankert auf mich zu und sagte zu mir: „Du bist ausgeschlossen. Gehe jetzt!“ Von denen, die damals für die Ausschlüsse stimmten, hat seither nur einer uns gegenüber geäußert, dass ihm seine Mitwirkung damals leid täte. Er und viele andere haben sich längst abgeseilt. Eine Reihe von Hauptamtlichen, die sich damals willig vor Taaffe‘s Karren spannen ließen, wurden zwischenzeitlich als Sündenböcke vom Hof verjagt. Die allerwenigsten sind allerdings in der Lage, die damaligen Entwicklungen ehrlich aufzuarbeiten. Angela Bankert und Claus Ludwig stehen zu ihrer damaligen Rolle und halten die Spaltung von Taaffe´s CWI für „unnötig“. Wer sich nicht seiner eigenen Geschichte stellt, baut auf Sand.

Ted Grant, der 1991 trotz seines Alters von 78 Jahren geistig und körperlich topfit war, konnten solche Erfahrungen nicht umwerfen. Er hatte im Laufe seines langen politischen Lebens mehrfach solche Manöver und Ausschlüsse am eigenen Leib erfahren und die bürokratische, neostalinistische Entartung von Organisationen erlebt, die sich „trotzkistisch“ nennen. So gaben die Ausschlüsse aus dem CWI den Anstoß zur Gründung der IMT, die die besten Traditionen und Ideen aus den Anfängen des CWI bewahrt und weiter entwickelt hat.

Taaffe konnte sich 1992 auf einen starken Apparat, finanzielle Ressourcen und ein großes Londoner Fabrik- und Bürogebäude mit eigener Druckerei stützen. Doch die Hoffnung, nach dem Ausschluss der Opposition Masseneinfluss aufzubauen und die Labour Party durch Kandidaturen bei Wahlen permanent herauszufordern, ging nicht auf. Drei Jahrzehnte später steht Taaffe wie „der Kaiser ohne Kleider“ da - ohne Parlamentsabgeordnete, ohne Stadträte, mit schwindender Anhängerschaft in Großbritannien und international. Taaffes Organisation in England und Wales hat heute nur einen Bruchteil der Stärke von Militant Ende der 1980er Jahre. Faktisch ist auch die deutsche SAV heute schwächer als Anfang der 1990er Jahre.

Taaffe und seine deutschen Anhänger um Stanicic und Sol werfen der anderen, um das CWI-Banner kämpfenden Seite „Opportunismus“ vor. Dass sie selbst nicht vor Opportunismus gefeit sind, erfuhren wir selbst im vergangenen Februar, als wir uns beim LINKE-Bundesparteitag an einer Venezuela-Solidaritätsaktion beteiligten. Damit wurde gegen von außen erzwungene „Regimewechsel“ und den Versuch protestiert, militärischen Druck gegen die venezolanische Regierung auszüben. Ausgerechnet Stanicic distanzierte sich öffentlich von dieser Aktion und unserem Banner mit der Aufschrift „Hände weg von Venezuela – Vorwärts zum Sozialismus“. Damit versuchte er seine Passivität in Sachen Antiimperialismus zu verbrämen. Seine Kritik entsprach eher der Mentalität eines um ein schlechtes Image in bürgerlichen Medien bangenden reformistischen Parlamentariers als der eines sozialistischen Revolutionärs.

Doch auch die andere Seite, die Taaffe und Co. „undemokratische Methoden“ und einen „bürokratischen Putsch“ vorwirft, greift im Umgang mit Kritikern in der eigenen Organisation gerne zu bürokratischen Methoden und hat diese verinnerlicht. Dies gilt auch für die CWI-Sektion in den USA, die im Anti-Taaffe-Lager steht. So wurde 2018 in Seattle) eine Gruppe von CWI-Mitgliedern „suspendiert“ (CWI-Neusprech für „ausgeschlossen“), weil sie einzelne Aspekte der Politik ihrer Stadträtin Kshama Sawant als „opportunistisch“ kritisiert hatten. Bis vor kurzem galt Sawant als Star des CWI und wurde auch bei deutschen SAV-Veranstaltungen per Videoschaltung eingeblendet und stürmisch gefeiert.

Während sich heute beide Seiten der Spaltung ein kleinliches Gezänk um das CWI-Banner liefern, verteidigen wir mit dem Aufbau der IMT seit den frühen 1990er Jahren die besten, gesunden Traditionen der Anfangsjahre des CWI und die von Ted Grant geprägten Ideen. Nach dem bürokratischen Ausschluss der Opposition blieb uns auch nichts anderes übrig. Wir diskutierten und verarbeiteten die Lehren aus der bürokratischen Entartung und entwickelten die marxistischen Ideen weiter.

Siehe auch: Die Lehren der Entartung des CWI

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