Kategorie: Theorie

Arbeiterkontrolle und Verstaatlichung [Teil 3]

Im dritten Teil setzen wir uns mit der sogenannten Arbeiterselbstverwaltung Jugoslawien auseinander, das damals als wirkliche Alternative zum sowjetischen Modell gepriesen wurde. Aber was war das wahre Wesen der Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien und welche Lehren können wir daraus für den sich in Venezuela entwickelnden Kampf um Arbeiterkontrolle ziehen?

Bild: Flickr, Michael Coghlan


Die Erfahrungen Jugoslawiens

Ich wollte ein paar Minuten für Jugoslawien und die Frage nach Arbeiterkooperativen und dem so genannten Marktsozialismus aufwenden. Dies ist ein wichtiges Thema und von großer Relevanz für die Frage der Arbeiterkontrolle in Venezuela. Vieles davon betrifft auch die Ideen der so genannten Neuen Linken im heutigen China.

In Jugoslawien waren die Betriebe in Staatsbesitz und offiziell den Arbeiterinnen und Arbeitern anvertraut, welche diese durch Arbeiterräte oder Selbstverwaltungskomitees verwalteten. Wenn diese Selbstverwaltungskomitees diskutiert werden, muss man verstehen und im Gedächtnis behalten, dass sie auf dem Markt operierten – sie waren Teil des nationalen wie des internationalen Wettbewerbs. Diese Unternehmen und Firmen machten Werbung, konkurrierten miteinander und taten was sie nur konnten um ihre Profite zu steigern. Dieses Profitstreben führte zur Herrschaft der Betriebsmanager und Spezialisten über die Arbeiterinnen und Arbeiter.

Das Zerwürfnis zwischen Tito und Stalin entzündete die Entwicklung der so genannten Selbstverwaltung in Jugoslawien. Bis 1948 hatte Jugoslawien ein System, das dem der UdSSR sehr ähnlich war. Tatsächlich war die jugoslawische Partei diejenige Partei, die Stalin am loyalsten war. Aber Tito hatte den bewaffneten Kampf gegen die Nazis geführt und kam sozusagen eigenständig an die Macht, ohne Beihilfe der Roten Armee der Sowjetunion. Er hatte seine eigene Machtbasis und dies führte zu einer Reihe von Auseinandersetzungen mit Stalin und der Sowjetbürokratie. Nach dem Tito-Stalin Konflikt, verkündete die jugoslawische Führung plötzlich, dass die Sowjetunion in einen „Staatskapitalismus“ degeneriert sei.

In einem Versuch den Bruch mit Stalin ideologisch zu rechtfertigen, argumentierten die jugoslawischen Bürokraten, dass das Staatseigentum nur eine Vorbedingung für den Sozialismus sei – was im Allgemeinen stimmt. Sie sagten, dass, um den Sozialismus aufzubauen, sozialistische Produktionsverhältnisse entwickelt werden müssten, was natürlich ebenfalls stimmt. Allerdings glaubten sie, dass sozialistische Produktionsverhältnisse durch Selbstverwaltung entwickelt würden, im Glauben, dass sonst das System in einen bürokratischen Despotismus degenerieren würde. Das war ein cleveres Mittel der jugoslawischen Bürokraten, um die Unterstützung der Arbeiterklasse im Kampf gegen die UdSSR und für die vorgeschlagen „Reformen“ zu gewinnen. Sie griffen die zentrale Verwaltung der Wirtschaft in der UdSSR an. Das Problem war aber nicht die zentrale Verwaltung, sondern das Fehlen von Arbeiterkontrolle. Es wurden auch Marktreformen vorgeschlagen, um die stagnierende Wirtschaft anzuheizen und andere Handelsoptionen zu finden, da die Sowjethilfe abgeschnitten war (der Handel mit der UdSSR und den anderen Ostblockstaaten war verantwortlich für 50% des Imports und Exports. Um 1950 sank dieser auf 0%).

Im Jahr 1950 führte Jugoslawien ein neues Gesetz zur Arbeiterselbstverwaltung ein. Sie erklärten, dass die Dezentralisierung der Arbeiterselbstverwaltung der Anfang des Absterbens des Staates sei. In Wahrheit war alle Macht auf die Staatsbürokratie konzentriert. Der erste Fünfjahresplan (1947-1952) erreichte seine Ziele nicht. Die Qualität der Produkte war schlecht und seit 1949 verringerte sich die Arbeitsproduktivität. Die jugoslawischen Bürokraten suchten nach einem „automatischen Vorgang“ zur Regulierung der Wirtschaft – vergleichbar mit der Funktionsweise des Marktes im Kapitalismus. In der Abwesenheit echter Arbeiterkontrolle als Mittel zu Qualitätskontrolle der Produktion, waren die Stalinisten gezwungen Marktmechanismen zu suchen. Von Anfang an war klar, dass diese Maßnahmen eine ganze Reihe von Widersprüchen mit sich bringen würde. Die Stalinisten versuchten die Quadratur des Kreises mit dem Versuch den Markt zu öffnen und gleichzeitig die zentrale Verwaltung aufrechtzuerhalten.

Die Verwaltung der Betriebe wurde zur Verantwortlichkeit der Arbeiterräte der Betriebe statt der Staatsminister. Detailliertes Planen der Produktion wurde gegen einfache Investitionspläne eingetauscht. Löhne wurden zentral festgelegt, jedoch ergänzt und vergrößert durch Boni durch die jeweiligen Firmen, die höhere Löhne an das Profitstreben banden. Dies galt jedoch nur auf dem Papier. Die Selbstverwaltungskomitees wurden durch die Betriebsmanager kontrolliert, welche den Staatsministern und Bürokraten nahestanden. Diese Komitees waren der Partei und der Gewerkschaftskontrolle strikt untergeordnet. Manager wurden oft aufgrund ihrer politischen Loyalität gegenüber Staatsministern eingesetzt und erhielten natürlich höhere Löhne als die Arbeiterinnen und Arbeiter, die sie herumkommandierten.

Was ebenfalls nicht vergessen werden darf ist, dass diese Firmen jetzt besteuert wurden (im Gegensatz zur Übertragung der Einnahmen auf den Staat) und dieses Kapital wurde vom Staat für neue Investitionen und das Errichtung neuer Betriebe verwendet. Diese neuen Betriebe wurden bald sogenannten „Arbeiterräten“ zur Verwaltung übergeben. Der Profit dieser Firmen wurde nicht vom Staat umverteilt, sondern blieb bei der Firma.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nur die formale Kontrolle über ihre Arbeitsstätte hatten. Unter der Selbstverwaltung betrieben angeblich die Arbeiterinnen und Arbeiter die Firmen und waren offiziell frei ihre eigenen Produktions- und Marktentscheide zu fällen. Eigentlich kontrollierte aber immer noch der Staat die Wirtschaft und die Betriebe unter Arbeiterselbstverwaltung. Der Staat hatte die Macht die Fabrikleiter einzusetzen und Geld auf die Firmen zu verteilen. Obwohl die Wirtschaft boomte, führte die staatliche Kontrolle der Investitionen zu einer kontinuierlichen Subventionierung und einem Fortbestehen von ineffizienten Betrieben, die vom Staat unterstützt wurden - insbesondere die von der Staatsbürokratie politisch favorisierten.

Dieses System genoss eine kurze Phase des Erfolges, als Jugoslawien in den 1950ern die am schnellsten wachsende Wirtschaft der Welt hatte. Im Jahr 1957 verlangte jedoch der Kongress der Arbeiterräte (das erste und einzige Treffen der Arbeiterräte) mehr Einfluss. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Räte bürokratische Körperschaften unter der Kontrolle der Manager und Spezialisten der Unternehmen statt der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst waren. Sie verlangten laxere staatliche Regulierungen und geringere Steuern. Diese Firmen wollten über mehr Geld verfügen, um eigenständig investieren zu können, anstelle von staatlichen Investitionsentscheidungen.

Die Selbstverwaltungskomitees wurden sich immer mehr ihrer eigenen Interessen bewusst, die sie den Interessen der Staatsbürokraten und Ministern entgegensetzten. Es wurde behauptet, dass diese Maßnahmen vom „Staatskapitalismus“ zum Sozialismus führen würden. In Wahrheit war es die Einführung des Marktes und eine Bewegung hin zum Kapitalismus oder genauer: Es bereitete den Übergang zum Kapitalismus vor. Unter einem echten Arbeiterstaat, in einem Zustand der Isolation, wäre es nicht falsch gewesen begrenzte Marktreformen einzuführen, wie es die Bolschewiki mit der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) taten. Hierbei wurden Marktreformen dafür verwendet, Unregelmäßigkeiten und Unwirtschaftlichkeit aus der Wirtschaft auszumerzen und die Produktion zu steigern (besonders die Agrarwirtschaft). Dies wäre ebenfalls in Jugoslawien mit seiner bürokratischen Planung, wo Ineffizienz und niedrige Produktivität offensichtlich waren, gerade nachdem sie sich von der UdSSR isoliert hatten, von Nöten gewesen. Jedoch entwickeln Marktreformen unter dem Stalinismus ihre eigene innere Logik, wie wir es schlussendlich in Jugoslawien gesehen haben und heute in China sehen: Anstelle der Verwendung des Marktes zur Entfaltung des Staatssektors und der Planung, finanzieren der Staatssektor und der Plan letztendlich den Markt. Es schafft auch die Bedingungen unter denen die Bürokraten und Manager das Interesse entwickeln ihre Macht und ihren Einfluss zu legitimieren und zu formalisieren – indem sie zu Bourgeois werden.

Das hohe Wachstum der 1950er brach in den 1960ern völlig ein und daraus resultierte die Einführung der Reformvorschläge des Arbeiterrats. Dies repräsentierte einen noch größeren Kurswechsel hin zur Marktwirtschaft und zur wachsenden Macht der Manager. Im Jahr 1962 wurde jedoch der dritte Wirtschaftsplan aufgrund der Wirtschaftskrise nach nur einem Jahr aufgegeben. Die industrielle Produktion halbierte sich im Vergleich zum Stand von 1960, der Import fiel ins Bodenlose, der Export kollabierte und die Inflation stieg massiv.

Die Reaktion der Staatsbürokratie darauf, war sich weiter auf einen „Marktsozialismus“ zu zubewegen. Der Staat wollte Wettbewerbsfähigkeit der jugoslawischen Unternehmen auf dem Weltmarkt, das Staatsmonopol auf den Außenhandel wurde aufgelöst und die Währung wurde konvertierbar gemacht. Denn sofern die Arbeiterinnen und Arbeiter die Entscheidungen über Schlüsselinvestition nicht durch die Arbeiterräte fällen, würden sie nicht wirklich Kontrolle ausüben, argumentierten die jugoslawischen Bürokraten. Das alles wurde durch folgende Redewendung zusammengefasst: „Wer über die erweiterte Reproduktion herrscht, herrscht über die Gesellschaft.“

Und das ist hier die Frage: herrscht die Arbeiterklasse über die Gesellschaft, wenn sie als atomisierte Arbeiterklasse, durch einzelne Betriebe und Firmen, die Investitionen und die Reproduktion kontrolliert, oder tut sie dies, wenn sie als Ganzes, durch den Staat, die Investitionen und die Reproduktion kontrolliert? Offensichtlich ist letzteres korrekt. Im jugoslawischen Modell herrschte die einzelne Firma in ihrem Profitstreben und nicht die Arbeiterklasse. Es ist die verstaatlichte, demokratisch geplante Wirtschaft, welche die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter über die gesamte Wirtschaft und nicht nur über einen einzelnen Industriezweig oder eine Fabrik garantiert. Dies sichert außerdem den vergesellschafteten Charakter der Wirtschaft und die Entwicklung von sozialistischen Produktionsverhältnissen. Sozialismus ist die zentralisierte, demokratische Kontrolle über die gesamte Wirtschaft durch die Arbeiterklasse, um die Wirtschaft als Ganzes zu entwickeln und die Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes zu gewährleisten – und nicht nur die Gewährleistung des individuellen Eigeninteresses einer einzelnen Fabrik oder Industrie. Das Problem Jugoslawiens war nicht so sehr, dass die Macht über die Fabriken an Selbstverwaltungskomitees übergeben wurde. Dies wäre sogar ein sehr progressiver und demokratischer Schritt nach vorne gewesen, solange die Wirtschaft nach einem zentralisierten demokratischen Plan organisiert gewesen wäre - unter der Kontrolle der Arbeiterklasse, in einem echten Arbeiterstaat. Das Problem war, dass die Kontrolle über die Wirtschaft dezentralisiert und die Wirtschaft den Interessen der individuellen Firmen überlassen wurde. Dieses Profitstreben und das Eigeninteresse der Firmen resultierten in der Kontrolle der Manager und Spezialisten über die Selbstverwaltungskomitees.

Das Ergebnis dieser Reformen war vorhersehbar: In den 1960ern nahm die Ungleichheit zwischen Firmen gleicher Industriezweige, zwischen verschiedenen Branchen, zwischen Stadt und Land und zwischen ganzen Regionen zu. Mitte der späten 1960ern war das Einkommensniveau in Slowenien sechsmal größer als im Kosovo. Die Reichen wurden reicher und wie vorherzusehen war, sank der Einfluss der Arbeiterinnen und Arbeiter im Verhältnis zu den Expertinnen und Experten in den Betrieben. Da das Ziel der Produktion der Profit war, tendierten die Arbeiterinnen und Arbeiter dazu sich mehr und mehr auf die Spezialisten und Manager zu verlassen, um jenen Profit zu generieren. Wäre die Wirtschaft zentralisiert geblieben und zum Nutzen aller demokratisch geplant worden, so wäre der Einfluss der Arbeiterinnen und Arbeiter im Verhältnis zu den Experten gestiegen. Die Expertise und das Wissen der Spezialisten wären zum Vorteil der Wirtschaft als Ganzes nutzbar gemacht worden, anstelle der Befriedigung deren begrenzter Eigeninteressen. Arbeiterdemokratie hätte den Markt als ein Mittel zur Regulierung der Wirtschaft ersetzen können.

Ein weiterer bedeutender Schritt in Richtung Kapitalismus war der Abbau der staatlichen Investitionen und der staatlichen Zentralbank. Für staatliche Investitionen akkumuliertes Kapital wurde abgezogen und in selbstverwaltete Banken investiert, die dann profitorientiert Geld an Unternehmen verliehen.

All diese Maßnahmen führten in den späten 1960ern und frühen 1970ern zu Aufständen gegen den Markt, welche von Studenten, der Jugend und der Bevölkerung der ärmeren Regionen angeführt wurden. Es gab einen allgemeinen Angriff gegen den Markt, die wachsende Ungleichheit und die signifikant zunehmende Macht der Banken und der Manager über die Betriebe.

1974 wurde der „Marktsozialismus“ angesichts massiver Arbeiterunruhen verworfen, welche in einer siebentägigen Besetzung der Universität von Belgrad unter dem Slogan „Nieder mit der Roten Bourgeoisie“ kumulierten. Schlussendlich wurde die Planung erneut eingeführt, aber es war weder das bürokratische Sowjetmodell noch eine wirklich demokratische Planung. Individuelle Firmen verhandelten Fünf-Jahres-„Investitionsdeals“ mit dem Staat.

Betrachtet man die Geschichte Jugoslawiens, so sieht man ein ständiges Ringen zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung, wie auch einen Kampf zwischen der Kaste der Manager und der Kaste der Staatsbürokraten. Der Stalinismus scheiterte fundamental daran, die regionalen Ungleichgewichte in Jugoslawien aufzulösen. Als die Dezentralisierung und Marktreformen in den 1950ern eingeführt wurden, wurde es als ein Sieg der verschiedenen nationalen Bürokraten betrachtet. Ihre begrenzten nationalen Interessen drückten sich darin aus, ihre eigenen Nationalökonomien gegeneinander zu entwickeln. Dies führte ebenfalls zu einer größeren Machtkonzentration in den Händen der Manager. Als der Zentralstaat in den 1970ern versuchte Maßnahmen der Zentralisierung wiedereinzuführen, widersetzten sich die nationalen Bürokraten und Managern (vor allem die in Slowenien und Kroatien). Es war ein Kampf zwischen verschiedenen Teilen der Bürokratie, welche unterschiedliche Interessen repräsentierten. Auf der einen Seite kämpften die national-bürokratischen Cliquen und die Managerkaste für mehr Dezentralisierung, um ihre Interessen und ihre Macht zu fördern, während sich der Zentralstaat um mehr Zentralisierung bemühte (in den 1970ern). Die Abschaffung des „Marktsozialismus“ war ein Versuch der Staatsbürokraten, die der Gefährdung der eigenen Macht durch die Marktreformen gewahr wurden, ihren Einfluss über die Manager und die regionalen bürokratischen Cliquen wiederherzustellen. Wenn zum Beispiel die Löhne in Slowenien sechs Mal höher als im Kosovo waren, ist es einfach zu sehen, warum die slowenischen Bürokraten, deren begrenzte, nationale Sichtweise all ihre Entscheidungen beherrschte, ein Interesse an der Dezentralisierung hatten – sie konnten so die Vorteile ihres regionalen Reichtums ernten, statt ihn mit ihren Nachbarn teilen zu müssen.

Das jugoslawische Modell der Selbstverwaltung hatte große Probleme – Probleme, welche eine wesentliche Rolle im brutalen Auseinanderbrechen des Landes spielten. Weil jede einzelne Firma auf dem Markt konkurrierte, waren die selbstverwalteten Firmen vom Eigeninteresse geleitet. Sie waren daran interessiert, die Profite des Betriebs zu maximieren, so dass ein Teil des Profits (der Teil, der nicht den Unkosten oder weiteren Investitionen zugedacht war) zur Hebung der Einkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter verwendet werden konnte. Dies gab alle Macht den Managern und Spezialisten, statt den Selbstverwaltungskomitees der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fabriken. Wir werden dieselben Probleme vorfinden, wenn wir die Arbeiterkontrolle in Venezuela diskutieren. Die Kooperativen stehen dort, weil sie in einer kapitalistischen Ökonomie operieren, unter dem Druck ihre Profite zu maximieren. Dies verursacht Widersprüche in den Unternehmen und schiebt die Macht in die Hände der Manager, statt in die der Arbeiterkomitees. Dieses Profitstreben führt zu Wettbewerb zwischen den Firmen, zwischen den Arbeiterinnen und Arbeiter und auch zu internen Differenzierungen in den einzelnen Fabriken, da die Manager und Spezialisten versuchen ihren Einfluss zu stärken um Macht und Zugang zu Profiten zu gewinnen. Das ist genau der Grund, warum es notwendig ist, die verstaatlichten Industriezweige in eine demokratische Planung zu integrieren; und warum es essentiell ist, dass alle verstaatlichten Industriezweige unter die Kontrolle der lokalen ArbeiterInnen, der Gewerkschaften und des Staats gestellt werden.

Um dieser Ungleichheit zwischen den Firmen in Jugoslawien Einhalt zu geben, versuchten die armen Firmen ihre Löhne zu erhöhen. Dies ließ ihnen weniger Geld für Investitionen, sofern sie ihre Lohnkosten decken wollten, was ihrem wirtschaftlichen Wachstum schadete und damit ihre Löhne schmälerte. Folglich begannen sie Geld von selbstverwalteten Banken zu leihen, sich schwer zu verschulden und die Inflationsrate stieg.

Ein weiteres Problem war die Arbeitslosigkeit. Generell entließen oder suspendierten die selbstverwalteten Betriebe niemanden. Allerdings schufen sie auch nicht viele Jobs. Warum? Weil die Einkommen der Arbeiterinnen und Arbeiter direkt an die Profite gebunden waren – also, je mehr ArbeiterInnen eingestellt wurden, desto geringer fiel der Lohn pro Kopf aus. Das bedeutet, dass arme Menschen aus ländlichen Regionen gezwungen waren in Westeuropa Arbeit zu suchen. 1971 betrug die Arbeitslosenquote 7%, jedoch arbeiteten unglaubliche 20% der Erwerbsbevölkerung außerhalb des Landes.

Ein weiteres Hauptproblem war die Atomisierung der Arbeiterklasse. Die jugoslawische Führung beharrte darauf, dass ihr Modell der Selbstverwaltung zu einer Entwicklung von sozialistischen Produktionsverhältnissen führen würde. Wenn aber sozialistische Produktionsverhältnisse das Ziel sind, dann können Investitionsentscheidungen nicht den einzelnen Firmen überlassen werden, weil sie keine Einsicht in die Bedürfnisse der Gesellschaft oder der Wirtschaft als Ganzes haben. Nochmals, die Macht lag bei den Interessen der individuellen Betriebe und nicht jenen der Arbeiterklasse. In Wahrheit waren die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter den Interessen der Firma untergeordnet, die vor allem eines wollten: Investieren um mehr Profite zu machen. Weil das Verhältnis von Lohn zu Profit festgesetzt war, war der einzige Weg die Löhne zu erhöhen, die Profitsteigerung, was eine noch intensivere Ausbeutung der Arbeiterklasse bedeutete. Dazu kam, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter den Widerspruch zwischen dem propagierten Sinn der Arbeiterselbstverwaltung und dem was sie wirklich war, erkannten, was zu Demoralisierung und Desinteresse auf der Seite der Arbeiterklasse führte, mit einer beachtlichen Zunahme von Fehlzeiten in den 1970ern.

Dieses System wiederum, glich eher der Anarchie des Kapitalismus als dem Einklang der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Die jugoslawischen Bürokraten lösten auch das Außenhandelsmonopol des Staates auf, was die einzelnen jugoslawischen Firmen dem direkten Kontakt mit dem Weltmarkt aussetzte. Dies ließ die direkte Intervention des Kapitalismus und des Imperialismus in die jugoslawische Ökonomie ohne zentrale Kontrolle oder Beaufsichtigung zu.

In den 1970ern nahmen selbstverwaltete Betriebe enorme Kredite bei westlichen Banken auf. Die ursprüngliche Idee war, dieses Geld in den Ausbau und die Modernisierung der einzelnen Firmen zu investieren, mit der Hoffnung, dass sie dann nach Westeuropa exportieren könnten, um die Darlehen zurückzuzahlen. Die internationale Rezession von 1979 zerstörte jedoch diese Hoffnungen. Für die einzelnen Firmen war es schwierig ihre Kredite zurückzuzahlen. Außerdem wusste niemand wie groß die gesamte Auslandsverschuldung war, weil das Staatsmonopol auf dem Außenhandel fehlte. Schlussendlich musste Jugoslawien als Nation die Schuld bezahlen und damit brach der Lebensstandard zusammen. Zwischen 1982 und 1989 fiel dieser um 40%. Die Inflation schoss in die Höhe – im Jahr 1987 betrug die Inflationsrate 150%, um 1989 erreichte sie 1950%.

1988 hatte Jugoslawien die höchste Auslandsverschuldung pro Kopf in ganz Europa, zusammengefasst über 20 Milliarden US-Dollar. Zwischen 1984 und 1988 zahlte Jugoslawien 14 Milliarden US-Dollar an Schuldzinsen, was die Wirtschaft lähmte.

In den 1980ern brummte der IWF Jugoslawien strikte Bedingungen für eine Darlehensverlängerung auf. Natürlich bedeutete dies die Kürzung des „Sozialwesens“. Der IWF zwang selbstverwaltete Banken sich in Privatbanken umzuwandeln und selbstverwaltete Betriebe zu Firmen mit klarem Eigentumsstatus zu werden – d.h. zu kapitalistische Unternehmen.

Es ist wichtig zu unterstreichen, dass all dies ein unmittelbares Resultat der Politik des „Marktsozialismus“ war und dass dies direkt zum brutalen Auseinanderbrechen Jugoslawiens führte. Tatsächlich war es kein großer Aufwand sich von selbstverwalteten Betrieben und Banken hin zu privaten kapitalistischen Firmen zu bewegen. Die Manager der so genannten selbstverwalteten Firmen übernahmen die Eigentumsrechte der Firmen und erhielten jetzt Profite, anstelle höherer Löhne.

Die Wirtschaftskrise, die Jugoslawien in den 1980ern erfasste, führte zur politischen Krise. Die herrschenden bürokratischen Cliquen der verschiedenen Regionen wandten sich dem Nationalismus und der alten Taktik, dem Nachbarn die Schuld in die Schuhe zu schieben, zu. Angesichts der Möglichkeit einer echten Arbeiterrevolution, wandten sie sich dem fanatischen Nationalismus zu – und wir alle kennen das Resultat.

Was sind die Lektionen der Erfahrungen Jugoslawiens?

Es scheint offensichtlich, dass das Staatseigentum der Schlüsselsektoren der Wirtschaft und das Staatsmonopol auf den Außenhandel notwendig sind. Das Absterben des Staats geschieht nicht einfach indem verstaatlichte Industriezweige und Betriebe den Arbeiterinnen und Arbeiter und Managern übergeben und diese zu Anteilseignern gemacht werden. Da in Jugoslawien die Manager ohnehin die Selbstverwaltungskomitees kontrollierten, führte das einfach zur Atomisierung der Arbeiterklasse. Die Arbeiterinnen und Arbeiter zu den Eigentümern der einzelnen Betriebe zu machen bedeutet noch kein vergesellschaftetes Eigentum: die (von Managern kontrollierten) Selbstverwaltungskomitees funktionierten wie private Eigentümer und dies führte zur vollumfänglichen Restauration des Kapitalismus. Der Schlüssel zur sozialistischen Transformation und dem Absterben des Staates in den degenerierten Arbeiterstaaten wäre echte Arbeiterkontrolle gewesen. Sozialismus ist nicht einfaches sich um die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter in lokalen vereinzelten Betrieben zu kümmern. Sozialismus bedeutet sich um die Interessen der Arbeiterklasse, der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes zu kümmern. Dafür braucht es Staatseigentum. Das Staatseigentum verteidigt den vergesellschafteten Charakter der Ökonomie, aber es bedeutet kein vergesellschaftetes Eigentum. Eine verstaatlichte, unter demokratischen Planung zentralisierte Wirtschaft, in der jede Fabrik ein Direktionsvorstand aus 1/3 hiesigen Arbeiterinnen und Arbeiter, 1/3 Gewerkschaft und 1/3 Staatsrepräsentanten (oder einer Variation daraus), verteidigt die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Klasse als Ganzes und ist fähig die Bedürfnisse der Ökonomie und der Gesellschaft als Ganzes auf eine Art und Weise zu erkennen, wie es atomisierte Selbstverwaltungskomitees nicht waren. Auf dieser Basis kann die Produktivität gesteigert und das volle Potential der Wirtschaft von den Zwängen des Privateigentums und des Nationalstaats befreit werden. Die Ungleichheiten einer Gesellschaft können in solchem Maße überwunden werden, dass das Staatseigentum zu einem echt vergesellschafteten Eigentum wird.

Eine weitere wichtige Lektion Jugoslawiens ist der Internationalismus. Die Auflösung der Sowjetunion und der Kollaps des Ostblocks war Ergebnis der engstirnigen, nationalistischen Perspektive der herrschenden Bürokratie in jedem Land. Sie wurden bei der Organisation ihrer rückständigen Wirtschaft und dem Handel untereinander sich selbst überlassen. Auf der Grundlage echten Bolschewismus und Internationalismus wäre es möglich gewesen die verschiedenen nationalen Ökonomien einzugliedern und eine integrierte, demokratisch geplante Wirtschaft zu bauen, unter Nutzbarmachung der Ressourcen und Arbeitskraft aller Länder von Havanna bis Beijing. Das hätte die Produktivkräfte all dieser Länder entfesselt, die sozialistische Entwicklung der Wirtschaft gefördert und zur Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse und einem genuin vergesellschafteten Eigentum der Produktionsmittel geführt.

Im vierten Teil betrachten wir den  Kampf um Arbeiterkontrolle Anfang der 2000er Jahre in Venezuela.

Siehe auch Teil 1, Teil 2 und Teil 4

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des folgenden Artikels auf der Seite In Defence of Marxism: Workers’ Control and Nationalization

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